Ralph Feiner fotografiert die zeitgenössische Architektur Graubündens. Dafür wurde er im Frühling mit einem kantonalen Anerkennungspreis ausgezeichnet. Im Interview spricht er über den Entstehungsprozess seiner Architekturbilder, Menschen im Bild, weshalb er gerne Baustellen fotografiert und was die Architekturfotografie soll.
Ralph Feiner, kürzlich ist ein Buch mit Architekturfotos des Bündner Kantonsspitals erschienen. Darin sind Bilder vom ursprünglichen Bau von 1941 und dann ihre Fotografien des aktuellen Neubaus. Erzählen Sie von der Entstehung solcher Bilder: Wo fängt ein Auftrag an?
Beim Kantonsspital hatte ich zunächst den Auftrag, den Bau zu dokumentieren. Da habe ich den ganzen Prozess mitverfolgen können, was interessant war. Und so habe ich das Gebäude für die späteren Architekturbilder, die jetzt im Buch sind, schon sehr gut gekannt und gemerkt, was mich interessieren könnte.
Ist das typisch, dass Sie auch die Bauphase begleiten?
Nein, meistens ist es eher so, dass ich als Architekturfotograf das fertige Produkt dokumentiere. Das war also eine Ausnahme. Eigentlich mache ich aber sehr gerne Baustellenfotos. Denn man sieht, was Bauen eigentlich bedeutet. Es ist auf eine Art ein aggressiver Prozess, man macht riesige Löcher in die Erde. Das schöne an der Baustellenfotografie ist aber, dass man die Leute kennenlernt, die am Bau arbeiten. Man verbringt eine gewisse Zeit dort und spricht mit ihnen. Das finde ich wahnsinnig schön, manchmal fast schöner als das Fotografieren selbst. Das ist mir generell wichtig am Fotografieren: die Begegnungen mit den Leuten. Ich komme an Orte, an denen ich sonst nie wäre.
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Dann kommt die Fotografie der fertigen Gebäude. Wie bereiten Sie sich vor, wenn Sie den Bau noch nicht kennen?
Häufig erhalte ich die Pläne. Wenn immer möglich gehe ich vorher vorbei. Auf den Plänen sieht man zwar ungefähr die Räume und deren Ausrichtung. Aber das Wichtigste ist ja die Lichtsituation. Also gehe ich hin und überlege mir, wann ich was fotografieren werde.
Zunächst noch ohne Kamera.
Genau. Ich habe eine App auf dem Handy, mit der ich eine Art Notizen mache, was ich gerne fotografieren würde und wann. Der Zeitplan ist jeweils recht anspruchsvoll. Wenn du ein ganzes Gebäude an einem Tag fotografieren willst, brauchst du eine gute Planung, damit du im richtigen Moment die Fotos machst. Es muss durchdacht sein, damit alles stimmt und es ist zum Teil auch ziemlich stressig.
Sind Sie mit dem Architekten vor Ort?
Meistens ist der Architekt dabei, wenn ich das Bauwerk besichtige. Dann frage ich ihn, was ihm wichtig ist. Bei vielen Gebäuden gibt es Sachen, die toll sind und andere, die man nicht zeigen möchte. Das muss ich wissen. Wenn er mir sagt: «So wollten wir es eigentlich nicht, aber die Bauherrin wollte das unbedingt», dann schaue ich, dass dies nicht so prominent auf den Bildern ist.
Sie arbeiten also im Dienst der Architektur…
Ja. Wenn ich für einen Auftrag fotografiere, dann mache ich das so, dass die Architektin im Vordergrund steht. Die Bilder sind dann eine Art Dokumentation: Wie ist das Gebäude gebaut worden? Wie spielen die Materialien zusammen? Wie geht die Architektin mit dem Licht um? Wie harmonieren die Werkstoffe mit dem Raum? Es ist schön, wenn man das sieht. Ich schaue immer, dass ich die Idee des Entwurfs visualisieren kann. So dass man spürt, was die Architektin eigentlich wollte. Anders ist es, wenn ich die Bilder für mich als künstlerische Arbeit mache. Dann würde ich ganz anders fotografieren.
Das Buch über das Kantonsspital zeigt im ersten Teil die Bilder von Albert Steiner, welche dieser vom ursprünglichen Bau 1941 gemacht hat. Haben Sie versucht Perspektiven zu finden, die Steiners Ideen aufnehmen?
Die Fotos sind sehr unabhängig entstanden. Ausser vielleicht das Einstiegsbild. Da habe ich gedacht, es wäre schön etwas zu machen, das eine gewisse Ähnlichkeit und Tiefe hat. Steiner hat das Spital durch die Bäume fotografiert. Ich habe lange gesucht, aber festgestellt, dass es dafür keine Möglichkeit mehr gibt, weil einfach alles verbaut ist. So habe ich ein Bild aus dem Helikopter gemacht. Das passt insofern auch, als dass heute das Kantonsspital eine hochentwickelte „Maschine“ ist. Sonst habe ich mich nicht gross auf Steiners Aufnahmen konzentriert. Dennoch sind die Blickwinkel gar nicht viel anders. Die Art des Schauens ist erstaunlich ähnlich. Den Unterschied machen die technischen Möglichkeiten und die Architektur selbst.
Apropos Technik: Mit welcher Kamera fotografieren Sie?
Für die schnellen Sachen habe ich eine Sony mit Canon-Shift-Objektiv. Wenn ich mehr Zeit habe, fotografiere ich mit der Alpa.
Auf den Bildern des Spitals wirken Menschen wie Statisten in einer Visualisierung, stehen aber immer am genau passenden Ort. Welche Rolle spielen die Menschen in Ihrer Architekturfotografie?
Menschen in der Architekturfotografie, das ist schwierig. Der Mensch ist ein sehr dominantes Objekt. Wenn er am falschen Ort steht, zu gross oder zu leuchtend gekleidet ist, dann wirkt er plötzlich stärker als der Raum. Es entsteht eine Konkurrenz, die man nicht will. Gleichzeitig finde ich Bilder mit Menschen aber schön. Sie haben die Funktion, die Grösse des Gebäudes zu zeigen. Und sie machen viele Bilder spannend. Im Spital habe ich niemanden hingestellt, sondern einfach gewartet, bis eine Person am richtigen Ort stand. Natürlich galt es, die Persönlichkeitsrechte einzuhalten. Von den Patientinnen sollte niemand auf den Bildern sein.
Wie ist es mit Möbeln: Arrangieren Sie die, damit sie gut ins Bild passen?
Da schiebst du eigentlich immer ein bisschen, wenn du kannst und darfst. Einfach weil von der Optik her oft etwas nicht ganz stimmt oder du sonst etwas anschneiden musst. Ich finde es sehr wichtig, dass man das macht und darauf achtet, dass die Komposition und die Tiefe des Raums stimmen. Mit den Möbeln kannst du verschiedene Ebenen schaffen.
Welche Gebäude sind schwierig zu fotografieren?
Es gibt immer wieder herausfordernde Sachen. Sehr schwierig sind besonders gute Bauten. Das ist eigentlich erstaunlich. Aber dort ist der Anspruch sehr hoch. Zum Beispiel dein Gebäude von Peter Zumthor. Das wirklich gut zu fotografieren, ist schwierig. Es ist wichtig, dass die Atmosphäre der Räume stimmen. Mit der Kamera bist du limitiert darauf, welche Möglichkeiten die Linse bietet. Das Auge sieht viel mehr und differenzierter. Für das Foto muss man dann genau überlegen, wie man vorgeht.
Wie wichtig ist die Nachbearbeitung?
Ich retuschiere nicht, aber die Nachbearbeitung ist ein grosser Teil meiner Arbeit. Ich gleiche Helligkeiten aus und korrigiere Farbstiche. Wenn man zum Beispiel in einem Betonraum steht und das Licht kommt zum Fenster rein, ist das wie eine kleine Camera Obscura: Der Boden wird blau, die Decke grün etc. – das korrigiere ich.
Auf Ihrer Website schreiben Sie: «[Fotos] können ein Bauwerk realer erscheinen lassen als in Wirklichkeit». Würden Sie das zum Schluss etwas ausführen?
Mit der Fotografie kannst du einem Bauwerk eine Präsenz geben, die es in Wirklichkeit nicht hat. Du blendest das Umfeld aus, kannst bestimmte Sachen herausgreifen, die extrem gut gebaut sind. Das Haus steht dann für das. Wenn du ein Haus in der Realität anschaust, gibt es viele andere Sachen, die weniger gut sind, und die ihm diese Stärke wieder nehmen.
Realistisch kann auch heissen: In der Idee des Entwurfs. Der Entwurf wird vielfach stark limitiert durch das Umfeld. Es gibt viele tolle Häuser, die in einem Umfeld stehen, bei dem man sich fragt, ob es sich überhaupt lohnt, so viele Gedanken und Arbeit zu investieren. Wenn du dieses Umfeld ausblendest und auf Details fokussierst, schafft das eine Realität, die das Bauwerk am Ort selbst nicht hat.
Oder auch, wenn du etwas bei ganz tollen Licht- oder Wetterstimmungen fotografierst. Dann hat das eine Aura, die nur in ganz wenigen Momenten existiert und die jemand, der dort einfach vorbeigeht, nie erlebt.
Wie sind Sie Architekturfotograf geworden?
Mir ist es gegangen wie vielen andern, die Architektur fotografieren: Ich habe das nicht gelernt und auch nie Fotografie studiert. Die meisten Architekturfotograf sind Architekten. Bei mir war es hingegen so, dass ich eine Zeit lang Möbel gebaut und diese auch fotografiert habe. Zur gleichen Zeit haben Freunde von mir bei Zumthor das Studium abgeschlossen und eigene Büros eröffnet. Sie haben mich gefragt, ob ich ihre Gebäude fotografieren würde. Mit der Zeit habe ich selbst eine Kamera gekauft und alles autodidaktisch gelernt. Das braucht viel Geduld und Frustrationstoleranz. Was aber schön ist in diesem Beruf: Man lernt sehr intensiv. Und ich habe immer wieder andere Leute gefragt, wie etwas geht. So entstanden auch viele Freundschaften.
Das Buch „Albert Steiner – Ralph Feiner , Architekturfotografie des Kantonsspitals Graubünden 1941/2020“ entstand in Zusammenarbeit mit dem Kantonsspital Graubünden entstanden und beim Verlag Scheidegger & Spiess AG erschienen.
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