Eine Ausstellung als Versuchsanordnung

Satellit HQ13, auf der Suche nach dem besten Landeplatz für Exploration 2. 2007, Künstlerische Darstellung (Rendering)

Ist es möglich, einen wissenschaftlichen Archivbestand zu «erfinden» und als echt auszugeben? Mit dieser Frage experimentiert die Ausstellung «Ferox, the Forgotten Archives», die noch bis am 28. September in der Coalmine Winterthur zu sehen ist.

Was bringt uns dazu, einem Bild zu vertrauen oder es in Zweifel zu ziehen — welche Eigenschaften kennzeichnen Dokumentarismen in der Fotografie, und welche Rolle spielt ihr Erscheinungskontext?

Fragen wie diese haben den Fotografen und Grafikdesigner Nicolas Polli zu einem künstlerischen Experiment angeregt: Er begann damit, seine eigene Raumfahrtagentur mit einem umfassenden Programm an Missionen zu entwickeln. IEMS — International Exploration for the Mars Surroundings — nennt sich das zivile Forschungsprogramm im All, das von mehreren europäischen Ländern getragen wurde.

Ein geheimnisvoller Meteoritenfund

Ausgehend von einem geheimnisvollen Meteoritenfund in den Schweizer Alpen, widmete sich die Agentur der Erforschung seines Ursprungsorts, dem bis dato unbekannten Himmelskörper Ferox. Die Mission, den Himmelskörper mit einem Rover zu erkunden, scheiterte jedoch, und damit das ganze Programm. Die Agentur wurde aufgelöst.

Erhalten geblieben ist das Archiv: eine umfassende Dokumentation aller Aktivitäten der IEMS, einschliesslich verschiedenartiger wissenschaftlicher Fotografien, Renderings, Datensammlungen und Texte. In einer 336 Seiten starken, wissenschaftlich gestalteten Publikation, erschienen 2018 im Verlag Skinnerboox/Ciao Press, hat Nicolas Polli die Fülle dieses Materials aufgearbeitet und für ein interessiertes Publikum zugänglich gemacht. Eine dazugehörige Website gibt sich als Open-Source-Archiv aus.

Erstes hochauflösendes Bild von Ferox, Süd-/West-Bereich, 1:300‘000.
Januar 1998, aufgenommen von der Exploration-1-Sonde.

Wissenschaftliche Materialien

Die Ausstellung «Ferox, the Forgotten Archives» in der Coalmine schliesst an diese Publikation und Website an und stellt die Aktivitäten der IEMS erstmals umfassend dar. Das Projekt präsentiert sich dabei als «echtes» Archiv. Es konfrontiert die Besucher mit einem Korpus an glaubwürdigem wissenschaftlichem Material und führt sie gleichzeitig auf einen Weg der zunehmenden Verunsicherung.

«Die sachlich-nüchterne Bildsprache, oft schwarzweiss, die gezeigten technischen Apparaturen und Diagramme, die Mikro- und Makroaufnahmen, das Fachvokabular und die schiere Menge an Dokumenten untermauern dabei den Wahrheitsanspruch», schreibt die Coalmine über die Ausstellung,

«Sämtliche Elemente der Präsentation, bestehend aus grossformatigen Tapeten, Bildern an den Wänden und auf Tischen ausgelegten Archivalien, verbinden sich zu einem glaubwürdigen Narrativ, das erst bei genauerer Betrachtung Risse, Brüche, unmögliche Kompositionen und Inkongruenzen offenbart.»

Camouflage, Mimikry, Überzeichnung

Das Projekt versucht somit Sprach- und Bildpolitiken aufzudecken, wie sie im Kraftfeld des wissenschaftlichen, medialen und politischen Systems verwendet werden. Es eignet sich dessen visuelle Register an und hebt sie durch die Mittel der Camouflage, des Mimikry, der Überzeichnung, der Parodie, der Konspiration und der Fälschung ins Bewusstsein.