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«An der Aktfotografie fasziniert mich die Teamarbeit»

«Wenn sich die Leute ohne Kleider zeigen, zeigen sie dem Fotografen auch einen Teil von ihrer Seele», sagt Judith Geiser.

Judith Geiser ist Aktfotografin und im Vorstand des Vereins nudeART.ch, dessen Ausstellung kürzlich in der Zürcher Photobastei lief. 42mm.ch sprach mit der Fotografin über ihre Arbeitsweise, die Nacktheit in Bildern und weshalb auf Aktfotos fast ausschliesslich Frauen abgebildet sind.

Judith Geiser, du bist vor rund elf Jahren über einen Workshop in die Aktfotografie eingestiegen. Was hat dich gerade an diesem Genre der Fotografie interessiert?

Ich hatte damals bei meinem Job als Primarlehrerin Urlaub für eine Weiterbildung und wollte mich in der Fotografie weiterentwickeln. Zunächst dachte ich an eine Fotoreise – Ägypten oder so. Doch plötzlich fand ich: Eigentlich gefällt mir die Aktfotografie. Jedoch findet man da den Zugang alleine fast nicht. Mutig wie ich bin meldete ich mich daher für einen Wochenworkshop an. Da hat es mir von Anfang an total den Ärmel reingezogen. Ich habe gemerkt, dass mich an der Aktfotografie die Teamarbeit fasziniert. Die Leute spazieren ja nicht einfach nackt herum, sondern es ist alles inszeniert. Ich finde es spannend, mit Menschen zu arbeiten, eine Stimmung oder irgendeine Form zu kreieren.

Judith Geiser ist Lehrerin, leidenschaftliche Fotografin und Aktuarin im Vorstand des Vereins nudeART.ch.

Du magst also die Arbeit. Was gefällt dir an den Bildern?

Ich finde nackte Körper ästhetisch, vor allem, wenn man sie kunstvoll ablichtet. Viele Leute fragen mich, weshalb ich nicht Modefotos oder Portraits mache, wenn ich doch gerne mit Menschen arbeite. Aber ich merke: Das ist mir zu oberflächlich. Bei Fashion dreht sich alles um Kleider, die Frisur, das Makeup. Das interessiert mich aus fotografischer Sicht nicht. Das sind alles Äusserlichkeiten. Wenn sich die Leute jedoch ohne Kleider zeigen, zeigen sie dem Fotografen auch einen Teil von ihrer Seele. Die Zusammenarbeit ist persönlicher und viel intensiver.

Wie muss ich mir ein Shooting bei dir vorstellen, wie läuft das ab?

Ich fotografiere sowohl im Studio als auch on location. Im Studio bin ich immer sehr gut vorbereitet. Das Model trifft ein, dann trinkt man erst einmal einen Kaffee, und ich stelle den Shootingablauf vor. Wir besprechen die Bildideen. Wenn das okay ist, unterschreibt man immer einen Modelvertrag, in dem die Bildrechte geregelt sind. Anschliessend macht sich das Model bereit: Zieht sich aus, schminkt sich, frisiert sich, cremt sich ein, damit die Haut entspannt ist. Ich überprüfe in dieser Zeit das Licht und die Technik. Dann kommt das Model – meistens zuerst im Badmantel – es gibt einen Lichttest, und dann geht es los.

Wo findest du deine Models?

Es gibt Model- und Fotografenplattformen. Viele Models habe ich von dort. Oft habe ich aber auch jemanden, der noch eine Freundin mitnimmt. Und diese Leute sind mir fast die liebsten. Sie spulen nicht irgendwelche Posen ab, sondern sind ganz normale Menschen.

Wie sieht es finanziell aus: Bezahlst du den Models ein Honorar?

Die Sache mit dem Geld reguliert sich dadurch, wer was von wem will. Ich kenne drei verschiedene Varianten: Wenn jemand zu mir kommt und sich privat fotografieren lässt, also ohne dass ich die Bilder zeigen kann, dann lasse ich mich bezahlen. Das sind private Auftragsshootings. Die zweite Möglichkeit ist, dass das Model und ich gleichermassen Interesse an einer Zusammenarbeit haben. Dann arbeiten wir beide ohne Honorar. In der Fotografenwelt heisst das TFP – Time for Print. Und dann gibt es die Situation, dass ich unbedingt ein bestimmtes Model will, das auch davon lebt. Dann bezahle ich dem Model ein Honorar.

Welche Absichten hast du mit deinen Fotos?

Das ist eine grosse Frage… Ich möchte den Betrachtern die Schönheit des Körpers zeigen, aber nicht nur die perfekten Kurven eines Supermodels, sondern ganz normale Menschen. Und gleichzeitig möchte ich die Betrachter in andere Welten entführen. Alle meine Bilder stehen allerdings unter dem Motto «Ich fühle mich wohl in meiner Haut. Ich bin zufrieden mit mir.» Bilder der Unterwürfigkeit oder Gewaltdarstellungen würde ich nie machen.

Aktfotos enthalten oft Gegensätze. Und Nacktheit stellt ja etwas sehr Verletzliches dar. Als Betrachter frage ich mich oft, was eine Person nackt in der gezeigten Umgebung macht…

Aktfotografie lebt stark von Kontrasten. Etwa ein rauer Felsen und ein feiner Körper. Oder ein verfallenes, düsteres Haus mit einer grazilen Frau. Im richtigen Leben würde man das wohl nie machen. So mag es manchmal skurril anmuten, dass jemand in einer solchen Umgebung nackt ist, aber das darf auch sein. Man darf zum Nachdenken angeregt werden. Und es dürfen Fragen offenbleiben.

Lichtkegel, © Judith Geiser

Nehmen wir als Beispiel eines deiner aktuell ausgestellten Bilder: Eine Frau, die auf einem Tisch unter einer Lampe liegt. Was kannst du zu diesem Foto sagen? Was macht die dort?

Das Foto ist im Keller von einem Landvogthaus entstanden. Ich habe diesen wunderschönen Lichtschein gesehen, der die Form eines Bogens hat. Ein Bogen hat ja die Bedeutung von Schutz, Behütung. Ich mag Licht-Schatten-Situationen und habe versucht, diese Form aufzunehmen. So haben wir Verschiedenes ausprobiert. Irgendwann ist sie auf den Tisch gelegen, und mir hat die Pose gefallen, eine Art Embryohaltung: Schutzsuchend und darüber der Bogen, der diesen Schutz gibt.

Was macht ein gutes Aktfoto aus?

Ein gutes Aktfoto ist für mich mehr als nur ein nackter Körper. Es muss irgendeine Idee, eine Absicht dahinter sein. Etwas, an das man sich später erinnert. Es gibt sehr viele Aktbilder – überall sieht man heute ja sehr viel Haut –, sehr wenig bleibt jedoch in Erinnerung. Ich glaube, es geht wirklich darum, dass man eine Idee hat, einen Ausdruck, der sich abhebt von anderen Ideen.

Wo ist der Unterschied vom Aktfoto zum pornografischen Bild?

Der Aktfotograf sucht in seinen Bildern immer den Kunstaspekt. Pornografie hingegen zielt eindeutig darauf ab, beim Betrachter Lust zu entfachen. Bei der Aktfotografie schwingt die Erotik mit, sie gehört dazu, aber sie ist nicht vordergründig. Es gibt natürlich eine Grauzone, die Grenze ist nicht klar und scharf. Einige Betrachter empfinden Bilder pornografisch, die andern würden sie noch als Kunst bezeichnen. Es liegt im Auge des Betrachters, was Kunst ist und was nicht.

Auf Aktfotos sind fast nur Frauen abgebildet – auch bei dir. Warum?

Ich fotografiere durchaus auch Männer, aber deutlich mehr Frauen, das ist richtig. Frauen sind interessanter, dass man sie vielfältiger präsentieren kann. Man kann eine Frau sehr stark, dominant und hart zeigen, aber auch sehr romantisch oder verspielt. Bei einem Mann ist das schwieriger. Die Bandbreite ist da schmaler. Ein Mann mit Federn und Tüchern, das wird sehr schnell schwierig. Zwischendurch reizt mich das, aber es ist in der Aktfotografie so, dass vor allem die Frauen vertreten sind.

Auf der anderen Seite stehen hinter den Kameras meistens Männer. Warum denkst du, ist das so?

Es ist so, dass 80 bis 90 Prozent der Aktfotografen Männer sind. Und Männer fotografieren meistens lieber Frauen, weil sie auch lieber Frauen anschauen. Als ich neu in den Verein nudeART.ch gekommen bin, war ich die einzige Fotografin. Mittlerweile sind wir vier Fotografinnen und rund zwanzig Fotografen.

War das speziell für dich?

Am Anfang schon. Ich bin in einem Mädchen-Haushalt aufgewachsen und habe mich im Freundeskreis immer mehr an Frauen orientiert. In eine Männerwelt einzutauchen war für mich eine neue Erfahrung. Ich erlebe aber eine hohe Achtung von meinen männlichen Kollegen. Sie finden es sehr interessant, wie ich als Frau arbeite.

Siehst du einen Unterschied zwischen deinen Bildern und jener deiner männlichen Kollegen?

Ich glaube, eine Frau fotografiert anders. Und viele Models sagen mir auch, dass sie bei einer Fotografin lockerer sind. Bei einem männlichen Fotografen schwingt doch eher eine erotische Spannung mit, auch wenn der Fotograf eigentlich derart mit Technik, Licht und Anweisungen beschäftigt ist, dass er dafür keine Zeit hat. Trotzdem ist natürlich vom Model her eine gewisse Vorsicht da, damit keine Missverständnisse entstehen. Wenn eine Frau fotografiert, fällt das weg. Man ist sich emotional näher. Es gibt natürlich Männer, die sehr gefühlvolle Bilder machen, aber ich erhalte oft das Feedback, dass meine Bilder mehr Gefühle zeigen, feiner sind, romantischer.

Was würdest du jemandem empfehlen, der mit der Aktfotografie anfangen möchte?

Ich würde ihm empfehlen, einen Workshop zu machen. So kommt man relativ schnell zu guten Bildern, lernt Kommunikation, Licht und Models kennen. Wenn man das zuerst selbst probiert –  vielleicht mit der Freundin – ist man meistens enttäuscht.

Ein Tipp zum Schluss?

Was ich vielleicht sagen kann: Ich bin Primarlehrerin und mache die Fotografie unter meinem richtigen Namen. Ich verstecke mich nicht. Und ich merke, wenn man etwas gut und seriös macht, gute Bilder macht und offen dazu steht, dann gibt das auch keine Probleme.


Die Ausstellung von nudeART.ch dauert noch bis am 24. November. Sie ist in der Zürcher Photobastei zu sehen. Die Website von Judith Geiser: www.blick-felder.ch.

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