Martin Bichsel wollte seine Bilder sehbehinderten und blinden Menschen zugänglich machen. Der Berner Fotograf hat seine neue Website deshalb mit entsprechenden Alternativtexten ausgerüstet. Eine Idee, die beim Tandemfahren entstand und einen ziemlichen Aufwand bedeutete.
Martin Bichsel ist Mitglied im Sehbehinderten-Tandemverein Bern. Als sehender Radfahrer unternimmt er im Verein gemeinsam mit sehbehinderten Menschen Velotouren. So ist der Berner Fotograf regelmässig mit dieser Menschengruppe in Kontakt und sensibilisiert für ihre Welt.
«Meine Mitfahrenden fragten mich oft, was ich beruflich mache. Dann erklärte ich ihnen das. Jedoch gab es keine Möglichkeit, ihnen meine Arbeit zu zeigen», erzählt Bichsel. Also fragte sich der Fotoschaffende, wie er seine Werke zugänglich machen könnte – und kam auf die Idee, die Bilder auf seiner neuen Website mit zusätzlichen Texten zu versehen. Eine pragmatische Lösung, wie er findet.
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Alternativtexte für den Screenreader
Fürs Surfen im Internet verwenden sehbehinderte Menschen Screenreader. Das sind spezielle Programme, welche die Inhalte von Websites vorlesen. Bilder beschreiben können diese noch nicht. Für Bilder können Website-Betreibende deshalb sogenannte Alternativtexte hinterlegen. Diese Texte sind im normalen Webbrowser nicht sichtbar, kommen jedoch dann zum Einsatz, wenn das Bild nicht angezeigt werden kann.
Genau diese Funktion hat Martin Bichsel nun genutzt. Für die Umsetzung seiner Website verwendet sein Programmierer das Content Management System WordPress. Dort haben die beiden eine Layoutvorlage gesucht, welche die gewünschten Funktionen bereits unterstützt. «Ich wollte die Website sowieso neugestalten und habe mir ein schlichtes, einfaches Design vorgestellt, bei dem die Bilder gut zur Geltung kommen», so Bichsel.
Beim gewählten Layout waren dann nur wenige Anpassungen nötig. Der grosse Aufwand folgt allerdings noch: Das Verfassen der Bildbeschreibungen.
«Die Menschen sollen sich das Bild vorstellen können»
Die Alternativtexte für die Bilder entsprechen nicht klassischen Bildlegenden, wie wir sie aus den Medien kennen. Vielmehr sollen sie beschreiben, was auf dem Bild zu sehen ist.
Martin Bichsel beschreibt es so: «Die Menschen sollen sich das Bild vorstellen können. Die Fantasie soll die Geschichte formen, soweit das mit einer reinen Beschreibung möglich ist. Das ist es ja auch, was passiert, wenn wir uns ein Foto ansehen». Er habe deshalb auf seiner Website auch für die Sehenden keine zusätzlichen Bildlegenden gemacht.
Synthetische Stimme, hohes Tempo
Ein Alternativtext sieht zum Beispiel so aus: «In einem Bus in Istanbul. Zwei Knaben, ein Mädchen und eine junge Frau sitzen am Boden der Kabine, die Rücken an die Wand gelehnt. Das Mädchen hat ihren Kopf im Schoss der Frau. Die Frau hält ihre rechte Hand auf dem Rücken des Mädchens. Rund um die vier Personen sind Beine und Schuhe von anderen Passagieren zu sehen.»
Wählt eine Blinde das Bild aus, liest der Screenreader diesen Text mit einer synthetischen Stimme und in relativ hohem Tempo vor. «Die akustischen Texte klingen wegen des hohen Sprechtempos nicht schön», stellt Bichsel fest, «aber wenn man bedenkt, wie schnell wir uns durch Bilderseiten klicken und die Bilder so mit den Augen erfassen, so ist die akustische Variante in diesem Tempo genauso eine Gewöhnungssache.»
Grosser Aufwand
Ein sehbehinderter Kollege des Berner Fotografen hat die Website getestet und die Texte für gut befunden. Und auch Bichsel selbst ist zufrieden: «Die Bilder haben einen guten Rahmen, die Website ist simpel aufgebaut. Aber der Aufwand war riesig.»
Das Vorhaben ist vorerst abgeschlossen. Für neue Bilder wird Martin Bichsel aufgrund des Aufwands keine Alternativtexte erfassen. Will er die Website regelmässig mit aktuellen Inhalten aktualisieren, ist dies zeitlich nicht möglich.
Der Fotograf ist sich ausserdem bewusst: Allzugross ist die Zielgruppe nicht. «Mir ist klar, dass die Funktion nur wenig genutzt wird. Sehbehinderte interessieren sich in der Regel ja nicht unbedingt für Fotografie».
Auseinandersetzung mit den eigenen Bildern
Ob er mit seiner Website auch an Sehbehinderte als künftige Kunden gedacht hat? Nicht in erster Linie, sagt Martin Bichsel: «Natürlich ist es etwas Spezielles, wenn ein Fotograf Alternativtexte erfasst. Ich wollte auch etwas auffallen damit, habe es aber nicht gross gepusht.» So habe er bisher nur wenig Rückmeldungen dazu erhalten.
42mm.ch indes findet: Es ist eine schöne Idee, die eigenen Bilder mit passenden Texten Sehbehinderten zugänglich zu machen. Gleichzeitig kann es eine wunderbare Auseinandersetzung mit den eigenen Fotografien sein, und einem so als Fotografen weiterbringen.
Martin Bichsel (1973) ist seit 2001 freischaffender Fotograf in Bern. Zu seinem Kerngebiet gehören redaktionelle Arbeiten und freie künstlerische Projekte. Am liebsten fährt er mit dem Velo und seiner Kamera durch die Welt. Sobald die Welt wieder öffnet, will er von der Schweiz in die Mongolei radeln und mit dem Zug heimkehren.
Zur Website: www.martinbichsel.ch
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