Rahim Lascandri beim Fotografieren an der Aare. (Foto: Isabelle Gautschy)
Im Fokus

«Ein wunderbarer und erfüllender Moment»

Wie war das, als wir mit Fotografieren begannen? Rahim Lascandri hat sich vor neun Monaten eine Kamera geschenkt um als Hobbyfotograf einzusteigen. Für 42mm.ch hat er die durchlebten Stimmungen und seine ersten Schritte festgehalten. Am Ende stellt er fest: «Ich komme mir vor wie ein explorierendes Kind.»

März 2021. Mein Geburtstag. Draussen erwärmen die Strahlen der Sonne die noch kühle März-Luft. Am Esstisch sitzend betrachte ich die vor mir liegende Kamera. Mein selbsterworbenes Geburtstagsgeschenk. Zuvor habe ich während mehrerer Monate voller Enthusiasmus aktuelle Testberichte über geeignete Einsteigerkameras gelesen. Doch letztendlich liess ich es zu, dass sich mein Bauchgefühl durchsetzen durfte und dadurch für den Kauf ausschlaggebend war.

Die Vorfreude

Hier liegt es nun, dieses anmutige und technisch hochentwickelte Wunderwerk. Geduldig wartend, bis ich es zum Leben erwecke. Der mitgelieferte Akku wurde zwei Tage zuvor über Nacht aufgeladen. Soeben habe ich ihn, strotzend vor Energie, in die Kamera eingeführt. Unter der Akkufachabdeckung lauert die kürzlich eingetroffene SD-Karte darauf, sich endlich die ersten Bilder einzuverleiben.

Nach Monaten der Vorfreude ist er also da, der Moment des Beginns. Doch stellt sich mit einem Male eine gänzlich neue Herausforderung. Was nun? Womit beginne ich überhaupt? Was soll, kann, darf oder will ich als erstes fotografieren?

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Bücher und Videos

Nicht zu fassen: stundenlang zappte ich mich durch Videos um deren Inhalte bis zur schieren Erschöpfung gierig zu assimilieren. Mehrere Bücher wurden angeschafft und voller Tatendrang gelesen. Naja, zumindest die ersten zwei… All dies, um am Tag X auch bereit zu sein.

Und nun ist der Moment da, an dem ich bewusst mit dem Fotografieren beginne. Ich erinnere mich an die ersten Versuche mit dem Smartphone, um damit einen für mich einzigartigen Moment festzuhalten. Die damit verbundenen Glücksgefühle, welche mich durchströmten, wenn dann tatsächlich eines der Fotos so gelungen war, dass es mich zu verzücken vermochte.

Die möglichen Motive

Moment der Zaghaftigkeit passe, die Ernsthaftigkeit des Lebens bahnt sich ihren Weg in meinen Kopf und brüllt… «So? Na, dann erklär uns doch was ein gutes Foto ausmacht! Woran ist ein Solches erkennbar?» Sofort bemühe ich mich die Ernsthaftigkeit des Lebens zu besänftigen. Ich erkläre ihr, dass es laut Videos und Büchern eine unendliche Fülle wichtiger Aspekte gäbe, welche es beim Fotografieren zu beachten gelte, wobei der Hinweis, dass es keine Regel ohne Ausnahme gäbe, interessanterweise nie fehlte…

Was soll denn jetzt fotografiert werden? Nach draussen gehen, um Tiere, Pflanzen, Bäume, Wolken, Landschaften zu fotografieren? Doch wäre der Wald dafür nicht optimaler? Die Stadt! Natürlich, die Stadt! Wo gibt es eine grössere Ansammlung unterschiedlichster Menschen, Situationen, Fahrzeuge und architektonischer Bauwerke an einem Ort?

Erneut meldet sich die Ernsthaftigkeit des Lebens: «In die Stadt, diese Hektik, kaum Zeit etwas in Ruhe zu fotografieren, dauernd hast du jemanden vor der Linse und wie schon erwähnt, was ist denn ein gutes Foto? Mach dir erst einmal Gedanken was du eigentlich willst!» Himmel ist das Fotografieren kompliziert! Was tun den Fotografen*innen in einem solchen Moment? Besteht nicht jederzeit die Möglichkeit etwas zu entdecken und es auf seine Art und Weise mit Hilfe der Kamera zu visualisieren?

Karussell der Unsicherheiten

Einmal begonnen, scheint sich das Karussell der Unsicherheit genüsslich weiter zu drehen. Nun stellt sich auch noch die Frage der zu wählenden Farbeinstellung. Farbig ist nicht bloss farbig, schwarzweiss nicht bloss schwarzweiss. Nicht zu vergessen sepia. In Kurzvideos und Büchern wurde darauf hingewiesen, dass mit der Farbe Sepia, passender Motive und Bildkomposition, äusserst interessante Fotos entstehen können. Mir gefallen schwarzweisse Bilder sehr gut, wieso weiss ich eigentlich nicht. Da wird mir bewusst, dass ich nicht mehr weiss, wie man bei meiner Kamera die Änderung der Farbe einstellt.

Eine weitere Stunde vergeht und die Einstellungsmöglichkeit der Sepia- oder schwarz-weiss-Einstellung wurde dank Videoclips herausgefunden. Doch womit ich beginnen soll, weiss ich nach wie vor nicht. Obwohl nur im Besitz einer Kamera mit Kit-Objektiv, fühle ich mich aufgrund dieser Fülle an Möglichkeiten schlicht und einfach überfordert.

Das Kribbeln in meinem Innersten

«Was ist ein gutes Foto?», höhnt die Ernsthaftigkeit des Lebens. Erschöpft beschliesse ich, den Laptop abzustellen, einen Kaffee zu trinken. Auf dem Stuhl sitzend, betrachte ich etwas resigniert meine Kamera. Wer hätte gedacht, dass Fotografieren eine solch komplizierte Angelegenheit werden würde. Gleichzeitig spüre ich ein Kribbeln in meinem Innersten. Sanft, unaufdringlich und dennoch nicht enden wollend. Doch ein Zeichen? Drängen sich zunehmend Aufregung und Vorfreude in mein Unterbewusstsein?

Seit Monaten empfand ich diese Gefühle. Nicht selten im Zusammenhang mit der Fotografie. Welch schönes Gefühl. Ich lasse es bewusster zu und stehe auf. Mit der Kaffeetasse in der Hand und die Ernsthaftigkeit des Lebens im Keim erstickend, eile ich zur Geschirrspülmaschine, um die Tasse zu versorgen. Rasch drehe ich mich um und gehe schnurstracks auf die Kamera zu. Der Entscheid ist gereift und mir ist klar, womit ich beginnen werde. Ich nehme die Kamera in die Hand und betätige den On-Schalter.

Eines der ersten bewusst gemachten Fotos. © Rahim Lascandri

Im Momentum des Augenblicks

Rund 20 Minuten und 30 Bilder später kehre ich allmählich ins Hier und Jetzt zurück. Die Umgebung beginnt wieder bewusster Gestalt anzunehmen. Unglaublich wie sehr ich durch das Momentum des Augenblicks absorbiert war. Ich komme mir vor wie ein explorierendes Kind, welches sich hingebungsvoll mit seinen Sinnen, Fähigkeiten und dem zu entdeckenden Material auseinandersetzt. Ein wunderbarer und erfüllender Moment!

Wir sind stets umgeben von Dingen und Situationen. Die Fotografie unterstützt uns möglicherweise dabei, das uns Einladende genauer und mit unserer Seele zu betrachten. Letztendlich scheint mir ein Foto Ausdruck dessen zu sein, wie etwas während eines flüchtigen und doch einzigartigen Moments wahrgenommen und zum Ausdruck gebracht wird. Dieses Potential befindet sich unzähligen Theorien und Videoclips zum Trotz möglicherweise in uns allen. Wird es entdeckt, lernt es sich zu entfalten und sich zunehmend in seiner eigenen Form zum Ausdruck zu bringen. Zum Leidwesen der Ernsthaftigkeit des Lebens.

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