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«Komplex, persönlich und sehr körperlich»

Akosua Viktoria Adu-Sanyah ist Preisträgerin des Prix Photoforum 2020. Ihre Arbeit «Inheritance. Poems of Non-Belonging» wird derzeit ­­­– zusammen mit elf weiteren Projekten – im Photoforum Pasquart in Biel ausgestellt. «Es ist eine komplexe, persönliche und sehr körperliche Arbeit», sagt die Künstlerin. Im Interview spricht sie über ihre Arbeitsweise und wie sie mit der Verletzlichkeit durch das autobiografische Werk umgeht.

In «Inheritance. Poems of Non-Belonging» setzt sich Akosua Viktoria Adu-Sanyah mit ihrer deutsch-ghanaischen Herkunft und den sich daraus ergebenden sozialen Lebensrealitäten auseinander. In der Vorschau zur Ausstellung beschreibt die Fotografin die Arbeit wie folgt: «Das Bedürfnis nach Zugehörigkeit trifft auf die Notwendigkeit, das Selbst unabhängig von externer Kategorisierung und frei von Vorverurteilungen zu definieren – die heterogene kulturelle Identität führt zu einem Gefühl der eigenen Unvereinbarkeit.»

Noch bevor die Ausstellung begonnen hat, traf 42mm.ch die Künstlerin zum Zoom-Gespräch über das bisher unveröffentlichte Werk.

Stone, fotografische Skulptur, 2020. © Akosua Viktoria Adu-Sanyah

Akosua Viktoria Adu-Sanyah, wie beschreibst du deine Arbeit jemandem, der sie noch nicht gesehen hat?

Es ist eine komplexe, persönliche und sehr körperliche Arbeit. Sie ist politisch und zum Teil poetisch und aggressiv. Sicher das Gegenteil von homogen. Im Prinzip kann man jedes Stück, das zu dieser Arbeit gehört, mit meiner eigenen Biografie verknüpfen. Gleichzeitig gibt es, sowohl sehr deutliche als auch subtile Hinweise auf institutionellen Rassismus und Rassismus, wie er in der Gesellschaft verankert ist. Aber: Es ist nicht eine Arbeit über Rassismus. Ich habe den Begriff Poems ausgewählt, weil nichts schwarz-weiss ist. Wir sprechen immer von einem Spektrum und von individuellen Perspektiven.

Wie entsteht eine solche Arbeit: Beginnst du mit einer Idee, einem Konzept, oder wie läuft das?

Bei «Inheritance. Poems of Non-Belonging» ist es sicher nicht ein schriftliches Konzept und dann ein Abarbeiten dessen im fotografischen Medium. Sondern es ist ein phasenweises Wechselspiel, ganz klar aus dem Material heraus eine Arbeit zu entwickeln, die dann im grösseren Kontext Sinn macht. Es gibt aber auch Rechercheprozesse, die ganz ausserhalb der Kunst liegen. Aus Erfahrungen, Inputs aus der Politik, der Geschichte und aus Ereignissen im eigenen Umfeld, entstehen Impulse, die ganz deutlich nach einer Arbeit rufen.

Wie muss ich mir das vorstellen? Du hast einen Impuls, dann nimmst du die Kamera und beginnst…

Gerade bei dieser Arbeit hat die Kamera eine sehr untergeordnete Rolle gespielt. Es gibt viele fotografische Skulpturen, die so unmittelbar sind, dass es gar keinen Apparat braucht. Da steht der fotografische Prozess von Licht und Schattens im Vordergrund.

Ich habe Tausend Millionen Impulse. Wenn ich dann aber am Arbeiten bin, lasse ich mich oft nicht mehr von der Recherche ablenken. Dann mache ich einfach.

Bezüglich der Impulse ist es nicht so, dass ich diese bekomme und dann mache ich direkt eine Arbeit. Ich habe Tausend Millionen Impulse, die Arbeit kommt zu einem ganz anderen Zeitpunkt. Wenn ich dann aber am Arbeiten bin, lasse ich mich oft auch nicht mehr von der Recherche ablenken. Dann ist das erstmal beiseitegestellt, dann mache ich einfach. Und ich denke nicht mehr an die Versprachlichung von den Ideen, sondern es ist einfach das Ding an sich.

Könnte man sagen, du bist im Flow?

Flow ist ein total schönes Wort, aber so romantisch ist das bei mir nicht. Es ist ein nicht-intellektuelles Erforschen des Materials. Das ist immer auch mit Scheitern und Ausprobieren verknüpft. Gerade, weil ich viel mit analogen Techniken arbeite, ist das auch weit entfernt von einem Workflow. Es kann so viel passieren. Wenn man etwas zum falschen Zeitpunkt macht, muss man nochmals von vorne anfangen. Zu dem Zeitpunkt ist man schon völlig benebelt von der ganzen Chemie, die einem ins Gesicht dampft. Manchmal kommt man sich vor wie auf einer Baustelle. Wenn ich im Labor bin, dann ist das intensiv. Es kommt vor, dass ich auch mal fünfzehn Stunden am Stück beschäftigt bin.

Wenn du von Material sprichst, dann meinst du Fotopapier, Chemikalien. Gibt es anderes Material, das im Einsatz ist?

Ja. Gerade bei dieser Arbeit gibt es Hirschhaut, Seide, Glas es gibt ein komplett immaterielles Videopiece und ansonsten ist Papier sehr, sehr wichtig.

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Stephen Kofi Adu-Sanyah & Gabriele Maria Elisabeth Adu-Sanyah (née Schlüter), 2020. © Akosua Viktoria Adu-Sanyah.

«Inheritance. Poems of Non-Belonging» enthält viele autobiografische Elemente. Wie fühlt sich das für dich an, wenn die jetzt ausgestellt sind?

Es gab eine Phase, in der ich nicht mit der Idee umgehen konnte, dass das nun in der Ausstellung ist.

Ich glaube, man muss da durch. Im Moment ist diese Arbeit in der Pause, weil sie gezeigt wird. Ich bin an zwei anderen Projekten. Das hilft mir, mich abzulenken. Denn es ist schon so: «Inheritance. Poems of Non-Belonging» ist eine verletzbare Arbeit, weil sie aus der Biografie hervorgeht. Und das ist mehrseitig. Als ich sie zum Prix Photoforum eingereicht habe, da ging es mir darum, dass Leute das sehen, und dass sie sich auseinandersetzen müssen. Als ich dann erfuhr, dass ich nicht nur in der Ausstellung bin sondern den Preis auch bekomme, war ich total überrascht und glücklich. Aber dann gabs eine Phase, in der ich nicht mit der Idee umgehen konnte, dass das nun in der Ausstellung ist. Und vielleicht abschliessend auf diese Frage: Es ist auch eine gute Möglichkeit, zu lernen, sich abzugrenzen. Denn egal was du zeigst oder tust: sobald es draussen ist, liegt es nicht mehr in deiner Hand.

Im Moment bist du an einem neuen Projekt: «Behold the Ocean». Worum geht es da?

«Behold the Ocean» ist eine fotografische und filmische Arbeit. Es geht um die aussergewöhnlichen Umstände von zwei Klimaforschern in Patagonien. Ich habe Maximiliano Vergara und Marco Pinto auf einer Expedition über die Magellanstrasse zum Gletscher von Santa Inés begleitet. Dort haben sie ein Forschungsprojekt abgeschlossen, in dem es um die Konsequenzen auf das marine Ökosystem geht, die der Klimawandel hat. Das besondere an dem Projekt ist, dass ich nicht den Klimawandel in den Vordergrund gestellt habe, sondern es ist eine sehr persönliche Arbeit aus der individuellen Perspektive der beiden Wissenschaftler geworden.

Wie ist der Stand?

Nachdem die Grenzen lange zu waren, hatte ich Glück: Es gab ein kleines Zeitfenster, in dem Reisende ohne Residenz in Chile ins Land durften. In dem Zeitraum konnten wir die Expedition durchführen. Ende Januar bin ich zurück nach Zürich gekommen. Aktuell arbeite ich mit Georg Rutishauser von der Edition Fink an einem Buch und parallel dazu am Rohschnitt für den Film. Ich hoffe, 2022 eine Ausstellung mit dem Projekt machen zu können.

Dieses Projekt hast du mit einer Crowdfunding-Kampagne finanziert. Wie ist es bei «Inheritance. Poems of Non-Belonging», wie finanzierst du diese Arbeit?

Alles was ich irgendwie habe, fliesst in meine Arbeit. Die Frage nach der Finanzierung finde ich, insbesondere im Kontext der Schweiz, immer lustig. Sehr viele Künstlerinnen und Fotografen sind es hier gewohnt, Strategien zu haben, wie sie ihre Sachen finanzieren. Ich hatte vor der Crowdfunding-Kampagne noch nie darüber nachgedacht, nicht einfach aus meiner Tasche meine Arbeiten zu finanzieren. Ein Kontrabassist wartet auch nicht darauf, dass ihm jemand neue Saiten kauft. Das ist für mich eine absolute Selbstverständlichkeit, die ich nie hinterfragt habe. Trotzdem habe ich mir für dieses Jahr vorgenommen, ökonomischer zu sein, in dem Sinne, dass ich eine Arbeit realisieren kann, die dann auch unterstützt wird oder dass ich sie zu einem Punkt bringe, der mich woanders hinführt.

Wie hat sich die Situation rund ums Coronavirus für dich als Künstlerin bemerkbar gemacht?

Auf jeden Fall nicht negativ. Ich erinnere mich an den Anfang, als die Stimmung in Zürich und in meinem Umfeld zu kippen begann und sich die Leute plötzlich unsicher fühlten. Für mich hatte sich gar nichts verändert. Ein grosser Verkauf wurde abgesagt. Aber sonst fühlte ich mich nicht mehr so alleine in dieser Unsicherheit, die ich sowieso schon gewohnt bin. Rückblickend war 2020 eines meiner besten Jahre. Ich habe diesen Preis bekommen für eine komplett neue Arbeit. Ich konnte die Crowdfunding-Kampagne machen, habe dann noch ein anderes Projekt angefangen, hatte gute Begegnungen und gute Gespräche sowie die Zusage vom Verlag bekommen. Ich habe die Zeit genutzt, um etwas zu tun und stur an meiner Arbeit dran zu bleiben.


Akosua Viktoria Adu-Sanyah, Selbstporträt.

Akosua Viktoria Adu-Sanyah (*1990, DE) absolvierte ihren Abschluss in Bildender Kunst an der Hochschule der Bildenden Künste Saar/Deutschland (2015). Sie lebt und arbeitet jetzt in Zürich als Künstlerin und Fotografin. Ihre Arbeiten werden seit 2012 international ausgestellt und führten zu mehreren Nominierungen und Auszeichnungen.

https://akosuaviktoria.com

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